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Simon Puschmann im Interview:

Von der Kunst des Improvisierens und der experimentellen Kraft freier Projekte


Foto: © Simon Puschmann


Simon Puschmann hat den Zufall zum Freund. Ein gewisses Maß an Planung sei zwar wichtig, sagt er, doch für Fotoprojekte schaffe er sich gern eine Bühne, auf der er spontan spielen kann. In diesem Interview verrät der Hamburger Fotograf, wie sich der Markt für Autofotografie verändert hat und warum es so wichtig ist, immer zu weit zu gehen ....

Auf Deiner Website nennst Du Dich „Tinkerer“ (Bastler). An was bastelst Du gerade?

Ich suche mir fast jedes Jahr ein Langzeit-Projekt abseits der Autofotografie. Häufig ist es ein soziales Projekt, für das ich unentgeltlich arbeite. Gerade drehe ich eine Doku über den Musiker Bernd Begemann aus Hamburg. Ich begleite ihn auf Tour, interviewe Freunde von ihm und andere Musiker. Außerdem habe ich einen Bierkanal gestartet: „Irgendwas mit Bier'“. Dafür drehe ich relativ oft neue Folgen. Im Moment interessieren mich filmische Arbeiten sehr, wozu mich vielleicht besonders der Erfolg meiner Doku ‚The Korean Job‘ anspornt, in der ich zwei Wochen in einer Quarantäneeinrichtung der südkoreanischen Regierung verbringe und für die ich drei Preise gewonnen habe. Ich experimentiere derzeit auch mit einer Kombination aus AI und einer Zykloiden-Zeichenmaschine. Das ist Bastelei und Ausprobieren pur.

Dein Workshop bei der BFF Akademie trägt den Titel ‚Den Zufall als Freund'. Wie hast Du gelernt, den Zufall als Freund zu sehen?

Das hat sich über die Jahre entwickelt. Irgendwann weiß man, dass man miteinander befreundet ist. Natürlich sollte man erst einmal lernen, einen Plan zu entwickeln. Und dann lernt man, diesen Plan einfach über Bord zu werfen, wenn die Umstände anders sind als zuvor gedacht – und dass eine Planänderung kein Scheitern ist. Fuck the plan! Go with the flow! Ist zu viel Vorbereitung also meist für die Katz, weil eh alles anders kommt? Gesundes Halbwissen ist wichtig, ein gewisses Maß an Planung auch. Ich stecke mir im Grunde nur einen groben Rahmen, in dem ich agieren kann. Ich schaffe mir eine Bühne, auf der ich spielen kann. Mal knipst man vorne, mal hinten, mal links (aber nie rechts) – ich entscheide das am liebsten spontan. Ein Rahmen ist jedoch wichtig, denn ich darf ja bei einem bezahlten Shooting nicht aus demselben fallen. Nick Knight hat mal gesagt: „If you're going to go into a shoot and you try to work it all out beforehand, you won't respond to the things in front of you or the magic of what you're going to see – something that you could never imagine.“

Klingt, als seist Du ein eher zuversichtlicher Mensch ...


Ich weiß gar nicht, ob ich wirklich so zuversichtlich bin. AI im Anmarsch, der totale Preis-Verfall, Qualität, die immer unwichtiger wird. Und dann die sprachliche Entwicklung: Aus Fotografien wurde ‚Content‘ ... Das kann schon beunruhigen. Doch eigentlich hinterfrage ich nicht, was da ist, sondern mich interessiert, was nicht da ist, was ich noch nicht erreicht habe und wie ich dahin kommen kann. Wieviel Freiheit lässt man Dir bei Deinen Aufträgen? Das variiert stark – und hängt immer auch von dem Land ab, für das man arbeitet. Viel Freiheit erlebe ich in den USA und Großbritannien. Gute Möglichkeiten habe ich in Südkorea. Am engsten scheint es mir in Deutschland zu sein. Möglicherweise greift hier aber auch das ‚Prophet im eigenen Land‘-Phänomen, nach dem man nirgends weniger gilt als zu Hause. Früher habe ich meine besten Arbeiten für das BMW Magazin gemacht, das es leider nicht mehr gibt. Bei den Shootings wurde mir vertraut, ich konnte einfach machen. Die Ergebnisse gaben der Redaktion und dem Kunden recht. Arbeiten, die für das BMW Magazin entstanden, tauchten regelmäßig in den Layouts und Moodboards anderer Agenturen und Autofirmen auf.

Du blickst auf 40 Jahre Arbeit zurück – was läuft heute anders in der Auftragsvergabe und in der Abwicklung?

Was die Autofotografie betrifft, hat sich vor allem Deutschland sehr verändert. Hier ist alles absolut finanz-fokussiert. Quantität und Preis gehen mittlerweile deutlich erkennbar vor Qualität. Bei den meisten Autokonzernen wird der Job inzwischen vom Einkauf vergeben, der meist nur auf die Endsumme guckt und nicht auf die Inhalte. Kreativität lässt sich jedoch nicht über einen Best-Price buchen. Manchmal ist die bessere Idee einfach teurer. Und: Warum sollte ich ein Treatment schreiben, in dem ich mir die tollsten Dinge ausdenke, wenn den Job am Ende der Günstigste bekommt? Im Ausland gibt es auch ‚cost-consulting‘ und ‚cost-cutting‘, jedoch auf anderem Niveau. Es findet aber keine Preis-Schlacht statt. Man fühlt sich auf Augenhöhe als Fotograf. Man darf – und häufig muss man sich sogar einbringen, mit Ideen, mit Änderungen. Beim Film sind die Voraussetzungen vielleicht noch etwas besser als in der Fotografie.

Wie finden Deine Kundinnen und Kunden zu Dir?

Ich verschicke Mailings, wie ‚bikinlists‘, bin auf Instagram, LinkedIn und Twitter aktiv. Ich drucke Aussendungen. Ich habe weltweit Agentinnen und Agenten, die für mich die Werbetrommel rühren. Ich produziere ohne Ende freie Arbeiten. So nehmen mich die Leute da draußen wahr und kontaktieren mich über meine Kanäle. Manche direkt, viele über die jeweiligen Agenturen. Selten wird auch mal eine Agentin, ein Agent angefragt, jemanden vorzuschlagen.

Was macht für Dich eine kluge Kommunikation aus?

Wenn ich es so genau wüsste, könnte ich dieses Wissen bestimmt in einer Master Class vermarkten ... Im Ernst: Wenn es um die Kommunikation geht, die zu einem Job führen soll, ist meine Aufgabe, mich möglichst vielseitig und kreativ zu zeigen. Das kommt aber nicht bei jedem gleich gut an. Ich habe mal einen Job mit der Begründung abgesagt bekommen, dass man lieber einen Fotografen buchen würde, den man permanent pushen muss, statt einen wie mich, den man immer bremsen muss. Kluge Kommunikation sollte Vertrauen in meine Fähigkeiten vermitteln.

Begeisterungsfähigkeit, Team-Geist, dass man leistungsorientiert ist und Probleme erkennt, bevor sie Probleme werden. Geht es um die Kommunikation während der Job-Anbahnung und Kalkulation, dann ist meine Devise, 100 Prozent ehrlich zu sein und auch genauso ehrlich zu kalkulieren. Wenn ich einen Preis abgebe, dann rechne ich zu 100 Prozent zu diesem Preis ab. Ich höre immer wieder, dass Kollegen nachfordern. So arbeite ich nicht.

Der Automarkt befindet sich im Wandel, viele Automarken haben ein Imageproblem. Wie gehst Du als Automotive-Fotograf damit um?

Ich hinterfrage das für mich oft. Die Welt geht zu Grunde und ich helfe, mehr Autos zu verkaufen. Da kommen Zweifel auf. Auch deswegen fotografiere ich laufend freie Projekte, die nichts mit Autos zu tun haben und oft einen nachhaltigen oder sozialen Ansatz verfolgen, wie zum Beispiel ‚Assaulted Flowers', eine Analogie auf die #MeToo-Kampagne. Ein weiteres solches Projekt ist ‚Wastelands', das Kunst aus Müll präsentiert. Gerade erst habe ich drei neue Motive produziert: Müll aus dem Stadion des FC St. Pauli sowie Las Vegas und Shanghai. Zu dieser Serie habe ich auch eine virtuelle Galerie gestartet, in der ich mit Voice-Over arbeite. Zudem kompensiere ich meine Flüge und pflanze für 1 Prozent meines Honorars Bäume in der Nähe meiner Heimat in Lüdenscheid.

Kann man Autos überhaupt noch überraschend fotografieren?

Der Auto-Kunde, die Auto-Kundin, falls es sie so generalisiert gibt, hat gern das komplette Auto im Bild und am liebsten auch noch scharf und vollständig durchzeichnet. Wenn möglich, von drei Seiten gleichzeitig in einem Bild. Wenn ich einen Job pro Jahr habe, bei dem mal wirklich neue und überraschende Fotos entstehen, ist das eine gute Quote.

Welches Auto fährst Du?

VW Amarok. Ich habe einen US Airstream und benötige ein Auto, das diesen ziehen kann. Da gibt es nicht so viel Auswahl, leider. Mein Amarok ist Baujahr 2015 und damit im Prinzip ‚super sustainable'. Das, was man hat, ist immer nachhaltiger als jede Neuanschaffung.

Wie motivierst du Dich für Deine Arbeit?


Ich arbeite und fotografiere einfach super gern. Mein Ziel ist es am Ende immer, etwas für meine Mappe zu produzieren. Wenn jemand privat einen Fine Art Print bei mir kauft, ist das eine tolle Motivation. Wenn eine Firma meint, ich müsse unbedingt für sie nach Seoul fliegen, um etwas zu fotografieren, dann ist das ebenfalls eine mega Motivation.

Und was treibt Dich an, so häufig frei zu arbeiten und eigene Projekte zu verfolgen?

Freie Arbeiten erhalten mir den Spaß am Job, der manchmal vor lauter Treatments, Video Calls und Einkaufsverhandlungen auf der Strecke zu bleiben droht. Ich kann ausprobieren und tun und machen, was ich möchte. Wenn es gut läuft, führt ein freies Projekt zu einem Auftrag. Ich glaube, dass ich bei meinen Kundinnen und Kunden eher hängen bleibe, wenn ich der bin, der diese tolle freie Serie gemacht hat als der, der den McLaren neulich so geil fotografiert hat ... Oder war das ein Aston Martin?

Wie ist Dein freies Projekt „Californ-IR“ entstanden? Auffällig sind die künstlerische, experimentelle Kraft und der kritische Blick mit einer besonderen Ästhetik auf das heutige Kalifornien.

Es ist ein Paradebeispiel für ‚den Zufall zum Freund haben‘. Ich war in Kalifornien, um eigentlich etwas ganz anderes zu fotografieren: Nature Generated Art. Ich saß bei Freunden im Garten in Carpinteria und wollte mit ihnen nach Santa Barbara fahren. Sie hatten jedoch kleine Kinder und haben gefühlt ewig gebraucht, um fertig zu werden. Deswegen habe ich meine Infrarot-Kamera genommen und in ihrem Garten fotografiert. Zum Zeitvertreib und aus Neugier. Wie würden Palmen wohl in IR aussehen? Das Ergebnis war zwiespältig: dystopisch aber auch schön. Und so begann das Kapitel Californ-IR. Dabei hatte ich meine IR-Kamera nur last minute, aus einem Bauchgefühl heraus mitgenommen.

Was tust Du für Deine kreative Entwicklung?

Mein Steuerberater hat mal gesagt: „Ihr Körper ist Ihre einzige Ressource. Passen Sie auf ihn auf.“ Das mache ich. Denn wenn ich fit bin, kann ich besonders kreativ sein. Ich lese Bücher. Ich lerne Premiere Pro. Ich gucke Filme. Ich gehe in Museen. Ich fotografiere Braumeister auf Schwarz-Weiß-Film und lerne viel über Bier. Ich lebe. Leben bedeutet für mich, kreativ sein zu können. Außerdem backe ich mein eigenes Sauerteigbrot, ca. zwei Mal pro Woche. Backen und Kochen sind für mich der Fotografie nicht unähnlich – sehr technisch, sehr kreativ und maßgeblich von Geschmack abhängig. Genau wie ich fast täglich fotografiere, koche ich beinahe jeden Tag.

In Deinem Workshop willst Du den TeilnehmerInnen klar machen, dass man aus Nichts etwas zaubern kann. Verrate uns abschließend einen Deiner Zaubertricks.

Geduld und Spucke sind wichtiger als Zaubern. Immer genau gucken, gut beobachten, nachdenken und auf spontane Eingebungen hören. Alles raushauen – no judgement beim Brainstorming. Alles ist erlaubt, auch totaler Quatsch. Man muss ihn nur filtern und erkennen können. Scheitern gehört dazu. In meiner Fotoschule, dem LetteVerein, gab es eine Lehrerin namens Frau Friedeberg. Ich hatte Farblehre und Farbvergroß̈ ern bei ihr. Ihr Motto: Wer überfiltert, bekommt einen Keks. Nach diesem Motto arbeite ich bis heute. Es ist wichtig, immer zu weit zu gehen. Bei Frau Friedeberg sah das so aus: Wenn man einen Teststreifen vergrößert hatte, musste die Farbigkeit in kleinen Schritten von grün zu rot kippen. Man musste also absichtlich überfiltern und durfte nicht aufhören, wenn das Bild grünstichig schien, sondern so lange weiter machen, bis es wieder rot wurde. Erst dann wusste man, der letzte Wert vor Rot ist wirklich neutral. Woher will man wissen, ob etwas neutral oder im übertragenen Sinne perfekt ist, wenn man nicht zu weit geht? Dies aber bitte nicht zwischenmenschlich oder politisch verstehen!

Vielen Dank für den interessanten Einblick, Simon!










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